Sonntag, 29. April 2012

Botanicula Test – Ein Spiel von Träumern für Träumer

Botanicula-Teaser

Zwei silberne Pollen flattern durchs Bild. Erst von links, dann von rechts. Aus den Boxen tönt sanftes Rauschen. Der Wind, wie er durch die Blätter des Baumes fährt, lässt die Luft vibrieren. Und es klingelt und klimpert, die Musik säuselt süß in den Ohren. Botanicula ist, kurz zusammengefasst, genau das. Weniger Spiel als Erfahrung. Ein Erlebnis für die Sinne, simpel, aber doch berauschend.

Hinter „Botanicula“ stecken Amanita Design, die 2009 mit Machinarium bereits ein gestalterisches Kleinod ablieferten. „Machinarium“ war nicht normal – und deshalb so toll. „Botanicula“ ist nicht einmal mehr „nicht normal“, sondern einfach nur anders. Die Optik, Charaktere, Atmosphäre – nichts entspricht hier der Norm, alles ist dem reichhaltigen Geist kreativer Träumer entstanden, die unter dem Begriff Spiel mehr verstehen als Dinge-totschießen.

Ohne eine Geschichte zu erzählen setzt es den Spieler auf einen Ast. Nichts weiter. Ab hier experimentiert man, klickt schlicht Dinge an. Die Knospen des Baumes, Blätter, Blüten. Was immer sinnig erscheint oder auch unsinnig. Schnell bekommt man ein unscheinbares Quintett an die Hand, zwei kleine Nüsse, einen Pilz, Feder und einen Ast. Mit Augen. Direkt kontrollieren geht nicht, aber beeinflussen kann man sie.

„Botanicula“ spielt sich daher wie ein Point & Click-Adventure, ist im Grunde aber gar keines. Man kombiniert nicht, man führt keine Gespräche, denn Worte gibt es hier nicht. Man klickt und forscht. Überwindet Hindernisse, löst kleine Rätsel, die aber immer mit der Maus und etwas Hirnschmalz angegangen werden. Bisweilen kann das schon mal richtig knackig werden, aber die Lösung ist meist naheliegend und Experimente werden stets vom grandiosen Design entlohnt.

Das ist...ja, wie eigentlich? Skurril, bizzar und dann aber doch wieder so unendlich liebreizend. Wenn kleinen Bienen durchs Bild summen, dann klingt das tatsächlich, wie man sich das im Kopf vorstellen würde. Amanita Design hat einen Großteil der Soundeffekte einfach mit dem Mund eingesungen. „Brumm“, „Plip“ und „Plop“, dazu ein Soundtrack, der irgendwo zwischen chillig, fetzig und verstrahlt rangiert. „Sigur Ros“ auf Drogen. Irgendwie.

Wenn man „Botanicula“ eines vorwerfen wollte, dann das es vielleicht zu sehr versucht, Erfahrung zu sein und dabei das Spiel-sein gerne vergisst. Einfach nur Dinge anzuklicken wird nicht jeden Spieler bis zum Ende motivieren und Adventure-Fans vermissen möglicherweise ihre Dialogoptionen und Inventar-Frickeleien. Eine angeborene Neugierde, der Spaß am Entdecken, ist essenziell, um mit „Botanicula“ glücklich zu werden. Dann jedoch

Fazit

Vor zwei Wochen, auf dem Weg zur Arbeit, hielt ich kurz inne. Drüben, auf der anderen Straßenseite, saßen vier Spatzen im Sand und „badeten“. Aufgeregt flatternd drückten sie ihr Federkleid in den Sand, stülpten das Köpfchen dazu und schüttelten sich. Eine reine Hygeniemaßnahme, wie ich später aus dem Lexikon (lies: Wikipedia) erfuhr, das reinigt die Federn. Ich musste schmunzeln: Wie schön doch die kleinen Dinge manchmal sein können.

„Botanicula“ ist wie eine spielgewordene Parabel auf die Schönheit der Natur. Mit all ihrer Pracht, all ihren Geheimnissen und kleinen Dingen, derer man viel zu selten gewahr wird. In einem Medium, das viel zu lange von Grafikhurerei und Projektilpornografie beherrscht wurde, darf man dank des (geist-)reichen Indiemarktes endlich vermehrt Spiele genießen, die nicht den Anspruch haben, „Mehr“ zu sein, es aber dennoch spielend schaffen.

„Botanicula“ ist eine meditativ verspielte Reise in die Köpfe einer Bande von Träumern. Die Gameplayelemente sind stark reduziert, Neugierde und die Freude am Experimentieren sind die größten Motoren für das Vorankommen. Der Rest ist ein Sammelsurium aus Eindrücken. Mal bizarr, mal skurril, mal wunderschön. Töne, Stimmen, fröhliches Geträller, lustige Gestalten – ach, wie gut, dass es Indie-Games gibt.

Wertung: 86%


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